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Köpfchen statt Dynamit?

Welche Methoden eignen sich zum Rückbau von Gebäuden, an die man vom Boden aus nicht mehr heranreicht? Bislang praktizierten Verfahren sind hier enge Grenzen gesetzt. Das trifft insbesondere dann zu, wenn zum Abriss anstehende Gebäude nicht nur besonders hoch, sondern auch noch in einem beengten Umfeld zu finden sind

Früher waren im Turm A des Hamburger City Hofs die Fachämter und das Kundenzentrum des Bezirksamts Hamburg Mitte untergebracht. Mit ihren rund 1.000 Mitarbeitern war die Behörde einst der mit Abstand größte Mieter in dem zwischen 1956 und 1958 vom Hamburger Architekten Rudolf Klophaus erbauten Komplex, der aus vier quer zum östlich verlaufenden Klosterwall gestellten Riegeln gebildet wurde. Doch nun steht das gesamte­ Ensemble zum Abbruch an. Ein Investor will auf dem Gelände ab 2020 Wohnungen, Büros, eine Kita und Läden schaffen, in einem Gebäude, das rund 47.500 Quadratmeter Bruttogeschossfläche umfassen wird. Im April 2019 sind die Abbrucharbeiten angelaufen.

Den Beginn der Arbeiten markierte zunächst der Rückbau der flachen Bebauung zwischen den vier Hochhäusern, im Sommer wandte man sich dann auch ihrem Abbruch zu. Zunächst wurden dazu die oberen Geschosse mittels ferngesteuerter Kleinbagger abgebrochen. Der übrige Abbruch erfolgt seit November konventionell von West nach Ost voranschreitend vom Boden aus mit einem Longfrontbagger. Von jenem nördlichsten Turm A sind inzwischen beinahe alle Spuren getilgt. Mit ihren 11 bzw. 12 Etagen noch an der Untergrenze dessen angesiedelt, was hierzulande als „Hochhaus“ gilt, verlangt jedoch bereits der Rückbau dieser Bauten gegenüber solchen mit vier bis fünf Geschossen einen erheblichen Mehraufwand. Immerhin findet hier mit dem Liebherr R 960 ein wahrhaft gigantischer Abbruchbagger Verwendung, dessen Ausleger bis zu 33 Meter weit in die Höhe reicht. Doch nicht nur die Verfügbarkeit solcher Riesen, von denen es in Deutschland nur einige wenige gibt, ist bei derartigen Rückbauten als Faktor mit zunehmend limitierender Wirkung anzusehen.

Der Umstand, dass beim Abbruch der oberen Geschosse der Gebäude ferngesteuerte Bagger zum Einsatz kamen, rückt noch ein weiteres Faktum ins Blickfeld: Derlei Arbeiten sind aufgrund der Höhe, in der sie stattfinden, nicht ungefährlich.

„Heißer“ Abbruch durch Sprengung

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Ende März diesen Jahres kracht der erste der „Weiße Riesen“ genannten Wohnblocks in Duisburg-Hochheide in sich zusammen

Bislang nämlich findet beim Bau von Hochhäusern die Frage, wie man ihren späteren Abbruch realisieren will, keine wirkliche Berücksichtigung. So blieb, wenn derlei Gebäude eine gewisse Höhe überschritten, bislang nur die Möglichkeit, zu Dynamit zu greifen. So wurde beispielsweise 1995 das ebenfalls in Hamburg errichtete, die City Hof-Bauten mit seinen 78 Metern deutlich überragende Hochhaus am Millerntor ebenso gesprengt wie im Frühjahr 2019 ein „Weißer Riese“ genannter Wohnblock mit 20 Geschossen im Duisburger Stadtteil Hochheide.

Auch dem ehemaligen Gebäude der Deutschen Welle am Kölner Raderberggürtel war bereits ein solches Vorgehen beschieden, hätten sich nicht Anwohner und Nachbarn, allen voran der Deutschlandfunk (aus Angst vor Schäden an seiner empfindlichen Sendetechnik), gegen die bereits geplante­ Weltrekordsprengung gewandt.

Beinahe-Weltrekordsprengung. Das 138 Meter hohe Funkhaus der Deutschen Welle im Kölner Süden wird nun konventionell abgetragen

Der 138 Meter hohe Wolkenkratzer im Kölner Süden sollte weichen, um auf dem Areal rund 700 Wohnungen in fünf- bis siebengeschossigen Mehrfamilienhäusern (70.000 Quadratmeter) zu errichten. Der Abriss sollte möglichst schnell bewältigt werden und so favorisierte­ der Investor eine unmittelbar an die Demontage der bunten Aluminiumpaneele und der dahinter verbauten Asbestplatten anschließende Sprengung. Doch über die gesamte Dauer der auch im Inneren des Turms notwendigen Asbest-Sanierung war es nicht gelungen, ein schlüssiges Konzept für ein solch riskantes Unterfangen vorzulegen. Nicht nur der geringe Abstand zu der angrenzenden Bebauung bereitete dabei Probleme, sondern auch die schiere Höhe des Turms: Weltweit hatte sich bislang noch niemand an die Sprengung eines derart hohen Baukörpers gewagt.

Bislang kann das in den 1930er Jahren in Detroit erbaute Hudson Building den Rang des höchsten jemals gesprengten Hochhauses beanspruchen. Einst mit seinen bis zu 12.000 Angestellten und 32 Stockwerken das größte Kaufhaus der Welt war der 125 Meter hohe Backsteinbau 1998 gesprengt worden.

„Kalter“ Abbruch durch Krandemontage

In Köln kam es am Ende doch nicht soweit. Der Einspruch der Anwohner obsiegte gegenüber den ursprünglichen Plänen des Investors, dem nunmehr nichts anderes bleibt, als „konventionell“ zurückbauen. Das neue Abrisskonzept sieht vor, die Hochhäuser mit Baggern von oben nach unten zu zerlegen und dann Stück für Stück abzutragen.

W1, die frühere Bayer-Zentrale in Leverkusen, wird entkernt

Doch ganz gleich, für welches der bislang erörterten Verfahren sich die Verantwortlichen entscheiden, beim Rückbau von Hochhäusern ist mit unwägbaren Risiken und zum Teil enormen Herausforderungen zu rechnen. So kann etwa der auf eine Dauer von rund zwei Jahren angesetzte Abbruch in Köln nur mit Hilfe eines der größten in Europa eingesetzten Kräne mit einem 120 Meter langen Ausleger (!) bewerkstelligt werden.

Bereits beim Abbruch der nur unwesentlich niedrigeren, W1 genannten ehemaligen BAYER-Konzernzentrale in Leverkusen war ein ähnlicher Gigant erforderlich, um die Demontage in Teilsegmenten mit bis zu 70 Tonnen Einzelgewicht zu bewerkstelligen. Das 122 Meter hohe Bürogebäude aus dem Baujahr 1963 war nach seiner völligen Entkernung ursprünglich als reines Stahlbetonskelett erhalten worden, um fortan als Träger einer Lichtinstallation zu dienen. Nachdem sich allerdings die überaus aufwändige Technik als nicht beherrschbar erwiesen hatte, entschieden sich die Bayer-Vorstände, die Ruine im direkten Umfeld ihrer neuen Konzernzentrale völlig zu tilgen. Auch hier kamen sehr spezielle, projektspezifisch entwickelte Verfahren wie der Abbruch durch Bohren und Sägen mit unterstützendem Einsatz von Pressen sowie eine eigens entwickelte Schutzschildtechnologie zur Anwendung.

Die alte Bayer-Zentrale in Leverkusen bei ihrer endgültigen Demontage per Kran

Doch auf welche Lösungen will man eigentlich zurückgreifen, wenn der Rückbau noch höherer Bauten ansteht oder, wenn sie nicht, wie in Deutschland, einzeln auf weiter Flur stehen, sondern, wie in vielen internationalen Millionenstädten, dicht gedrängt?

Bedingungen solcher Art finden sich etwa in Tokyo, einer der größten Städte der Welt. Der in den 1960er und 1970er Jahren in Japan grassierende Hochhaus-Bauboom hat dort zu einer großen Anzahl alternder Türme geführt. Zahlreiche Gebäudeeigentümer haben inzwischen ein Interesse daran, die alten Gebäude abzureißen, um sie durch modernere, sicherere und arbeitsfreundlichere Gebäude zu ersetzen. Dabei haben sie sich genau diesem Problem zu stellen.

Hochhausrückbau in Japan

Das Akasaka Prince Hotel im Zustand vor Beginn der Rückbauarbeiten

Für den Rückbau des 140 Meter hohen Akasaka Prince Hotels im Tokyoter Stadtteil Akasaka setzte der Baukonzern Taisei 2012 erstmals auf ein völlig neues Abbruchverfahren, das sogenannte Tecorep System (Taisei Ecological Reproduction System). Entgegen dem bislang praktizierten Rückbau von oben unter Inkaufnahme eines seines Dachs beraubten Baukörpers sieht der Abbruch nach diesem Verfahren vor, die beiden obersten Geschosse eines Gebäudes außen mit weitgehend schall- und staubdichten Paneelen zu umschließen und den Rückbau unter Beibehaltung der Dachkonstruktion innerhalb dieser Schutzzone vorzunehmen.

Um zu gewährleisten, dass die Dachkonstruktion bis zum vollständigen Rückbau der betreffenden Geschosse an Ort und Stelle bleibt, stützte man sie währenddessen auf 15 temporäre Hydraulikstützen mit 20 Metern Höhe, die ihrerseits auf zuvor zwei Geschosse darunter eingezogenen Trägern ruhen. Die bei den Arbeiten herausgebrochenen Teile des Baus wurden durch ein Windensystem im Inneren des Baukörpers über einen zuvor durch alle 40 Geschosse gebrochenen Schacht abgelassen.

Akasaka Prince Hotel – mehr als die Hälfte des Gebäudes, das immer noch intakt scheint, ist abgetragen. Die Beeinträchtigung der Nachbarschaft ist minimal

Nach dem Rückbau der jeweils obersten beiden Geschosse erfolgte das Absenken sowohl der äußeren Umhüllung der Abbruchzone als auch der Dachkonstruktion auf den nächst niedrigeren Level, um in der Folge mit dem Abbruch der nächsten beiden Geschosse zu beginnen. Durch das neue Verfahren konnten gegenüber dem konventionellen Rückbau nicht nur die Geräuschemissionen um bis zu 23 Dezibel, sondern auch die Staubentwicklung um rund 90 Prozent reduziert werden.

Daruma Otoshi Methode

Die beiden 76 bzw. 65 Meter hohen Türme der ehemaligen Kajima Corporation in Tokyo 2006. Bei der dichten Bebauung verbot sich eine Sprengung. Das „Cut and Take Down-Verfahren“ des Bauunternehmens erlaubte hier einen sicheren und sauberen Rückbau

Dem gleichen Ziel möglichst geringer Emissionen und höchster Sicherheit verpflichtet, versetzte bereits einige Jahre zuvor eine weitere, noch etwas elaboriertere Abbruchmethode nicht nur die Fachwelt in Erstaunen: das „Cut and Take Down-Verfahren“ der ebenfalls in Japan ansässigen Kajima Cooperation. Das Bauunternehmen hatte 2007 mit der Entwicklung dieses neuen Abbruchverfahrens begonnen, um die beiden 76 bzw. 65 Meter hohen Türme der eigenen Firmenzentrale abzureißen, die sich in unmittelbarer Nähe eines weiteren Bürogebäudes und eines Wohngebäudes auf einem 85 mal 60 Meter großen Gelände befanden. Das machte einen sauberen und leisen Abbruchprozess unabdingbar.

Dem bereits geschilderten Prinzip nicht ganz unähnlich, bestand der Ansatz der Kajima-Ingenieure allerdings darin, das Gebäude von unten nach oben abzutragen! So setzte die „Cut and Take Down-Methode“ in der Tat damit ein, im Erdgeschoss um das bestehende Tragwerk herum temporäre Hilfsstützen aufzustellen. Anschließend wurden die bestehenden Stützen herausgeschnitten und die Gebäudeebene vollständig entkernt.

Temporäre Stützen tragen im Erdgeschoss das darüberliegende Gebäude, die ursprünglichen Stützen werden herausgeschnitten

Am Standort der herausgeschnittenen Stahlbetonstützen positionierte Hydraulikzylinder mit einer Kapazität von jeweils 1.200 Tonnen hoben im nächsten Schritt das Gebäude soweit an, dass die temporären Stützen entfernt werden konnten, und senkten daraufhin die nächste Geschossebene in fünf Absenkzyklen von je 675 Millimetern (insgesamt 3,375 Meter) auf die Bodenplatte ab. Im Folgenden wiederholte sich der gesamte Vorgang. Insgesamt wurden für den Rückbau einer Geschossebene sechs Tage benötigt: 2,5 Tage für das Absenken und die verbleibende Zeit für die Entkernungsarbeiten. Um möglicherweise von Erdbeben oder auch durch Windeinwirkung verursachte seitliche Bewegungen der Türme zu verhindern und die auftretenden Kräfte aufzunehmen, wurde in der Mitte der Bodenplatten eine bis zur dritten Ebene hinaufreichende Kernwand mit Lastübertragungsrahmen aus 400–900 Millimeter dickem Stahlbeton eingebaut.

Beim Rückbau der eigenen Zentrale erreichte Kajima ebenfalls eine sehr hohe Recyclingquote: 90 Prozent der Baustoffe konnten in 30 verschiedene Fraktionen sortiert und danach einer Wiederverwendung zugeführt werden. Obwohl die Kosten des Verfahren weit über denjenigen konventioneller Rückbauten lagen, konnte immerhin eine bemerkenswerte Zeitersparnis von rund 15 Prozent erreicht werden. Die Methode wurde danach mehrfach (zuletzt 2016) beim Abriss weiterer Hochhäuser genutzt.