Im Herbst dieses Jahres biegt aller Voraussicht nach das bislang unrühmlichste Kapitel deutscher Baugeschichte auf die Zielgerade ein: Ohne weitere Verzögerung soll dann der neue Hauptstadtflughafen BER seinen Betrieb aufnehmen. Ein Bau, der ob seiner Klarheit und seiner unverkennbaren Anklänge an die Bauhaus-Tradition durchaus internationale Beachtung verdient hätte. Doch nach 14 Jahren wechselvoller Baugeschichte sind alle Beteiligten froh, wenn sie einen Haken an das Projekt machen können
Nicht etwa, dass nicht genug Köpfe gerollt wären, oder die Geschichte hinreichend oft eine unerwartete Wendung genommen hätte – die Spannung ist trotzdem irgendwie raus. Dennoch sind dessen ungeachtet seit Anfang Februar tausende Komparsen zusammengetrommelt worden, um Ende Juni im Süden Berlins erstmals den Showdown eines Polit-Thrillers zu üben: In Berlin-Schönefeld steht nach über 14-jähriger Bauzeit und noch sehr viel längerer Vorplanung der neue Hauptstadtflughafen kurz vor der offiziellen Inbetriebnahme.
An die 20.000 Freiwillige und bis zu 15.000 Koffer sollen das komplexe Räderwerk in 30 angesetzten Testläufen mächtig unter Dampf setzen und am Ende unter Beweis stellen, dass nun alles klappt. Im April dieses Jahres hatte der TÜV Rheinland die Betriebssicherheit des letzten, bis dahin einer Abnahme entbehrenden Gebäudes, des neuen Hauptterminals, bescheinigt. Im Oktober 2020 soll es nun endlich losgehen und die ersten Flieger vom neuen Hauptstadtflughafen BER abheben. Damit würde eine unrühmliche, sich letztlich über mehr als 20 Jahre erstreckende Geschichte endlich zum Abschluss kommen.
Ein großartige Anlage
Der unerquicklichen Vorgeschichte zum Trotz kann sich das Ergebnis hingegen durchaus sehen lassen. Kein Wunder, zeichnet für den Entwurf doch das weltweit erfolgreiche Hamburger Architekturbüro Gerkan, Marg und Partner (gmp) verantwortlich. Auch in Deutschland sind die Hanseaten beileibe keine Unbekannten. Auf ihr Konto gehen zahlreiche Renommierbauten wie zum Beispiel in Hamburg das Springer Quartier oder der Flughafen, in Hannover auf dem Messegelände die Expo-Hallen 8 und 9, in Duisburg das Alltours-Gebäude, in Berlin der Hauptbahnhof und der Flughafen Tegel, in Frankfurt die Commerzbank-Arena und die Deutsche Bank-Türme oder in Mannheim die Kunsthalle. Wohlgemerkt: Diese Aufzählung ist bei Weitem nicht vollständig.
Nun also der Hauptstadtflughafen. Der U-förmige Komplex präsentiert sich in der Form eines Midfield Terminals und umfasst neben dem Hauptgebäude den 715 Meter langen, im Westen vorgelagerten Hauptpier sowie zwei etwas kleinere Piers oberhalb und unterhalb des Hauptgebäudes. Der Hauptpier (Vorfeld B) verfügt über 16 Parkpositionen für Kurz- und Mittelstreckenflugzeuge, bzw. für acht Großraumflugzeuge, sowie 15 zweigeschossige Fluggastbrücken und eine eingeschossige Fluggastbrücke an seiner südlichen Stirnseite. Eine Parkposition ist zudem für die Abfertigung des Airbus A380 ausgebaut. Der 350 Meter lange Südpier (Vorfeld C) fügt der Zahl der Parkpositionen weitere neun hinzu und verfügt über ebenso viele eingeschossige Fluggastbrücken. Der genauso lange Nordpier (an Vorfeld A) böte nach Adam Riese Platz für ebenso viele Jets, verfügt aber über keine Fluggastbrücken und dürfte daher als Zugang zu einer weitaus größeren Zahl von Flugzeugen taugen. Er ist mit seiner im ganzen reduzierten Ausstattung für den Betrieb der Billigfluggesellschaften optimiert.
Dominiert wird das ganze Areal freilich von dem beeindruckenden, lichtdurchfluteten Hauptterminal im Zentrum der Anlage. Es ist 220 Meter breit, 180 Meter lang und 32 Meter hoch, beherbergt im Untergeschoss eine großzügige Bahnstation und zählt mit 326.000 Quadratmetern Bruttogrundfläche zu den größten Gebäuden Europas.
Auf der Fläche zwischen Hauptterminal und Nordpier streckt sich zudem ein weiteres Terminalgebäude in die Länge, über das die Passagiere von Ryanair, EasyJet oder Eurowings den im Norden parkenden Jets zugeleitet werden. Den Platz vor dem Eingangsbereich des Hauptterminals flankieren überdies zur Rechten das Büro- und Dienstleistungszentrum Berlin-Brandenburg Airport Center und zur Linken das Steigenberger-Vier-Sterne-Superior-Hotel mit 322 Zimmern und angeschlossenem Konferenz- und Tagungszentrum. Schlussendlich komplettieren einstweilen fünf Parkhäuser mit 10.000 gebührenpflichtigen Stellplätzen sowie zahlreiche weitere, zum Teil den Flughafenmitarbeitern vorbehaltene, Parkflächen den Komplex.
Rund 32 Millionen Fluggästen pro Jahr soll der neue Airport einen Flug in die weite Welt oder zumindest in andere Metropolen in der näheren Umgebung ermöglichen. Damit rangiert er in absoluten Zahlen nicht gerade an der Weltspitze. So kamen 2018 allein in Europa die Flughäfen London Heathrow auf rund 80 Millionen Fluggäste sowie dicht gefolgt Charles de Gaulle und Amsterdam Schiphol auf jeweils etwa 72 Millionen Fluggäste. Bedenkt man zudem, dass in Istanbul zwischen 2014 bis 2018 ein neuer Airport mit bislang fünf Start- und Landebahnen und 52 Millionen Fluggästen im ersten Betriebsjahr sowie in nahezu der gleichen Zeit in China der Peking-Daxing-Airport mit einstweilen vier Start- und Landebahnen und einer bislang auf 45 Millionen Fluggäste angesetzten Kapazität entstanden sind, erstaunt doch umso mehr, wie lange es gedauert hat, bis der neue Hauptstadtflughafen an den Start gehen konnte. Seine scheinbar niemals endende Geschichte beginnt überdies schon lange, bevor die breite Öffentlichkeit von der Planung Notiz nahm.
Von Beginn an unter einem schlechten Stern
Erste Überlegungen zu einem neuen Zentralflughafen in Berlin setzten nämlich bereits einen Monat nach dem Fall der Berliner Mauer ein. Schon am 7. Dezember 1989 gründeten die Lufthansa und die Interflug eine Kommission, die ein Konzept für den Ausbau des Flughafens Schönefeld zum Großflughafen erarbeiten sollte. Die Notwendigkeit der Erweiterung bestehender Kapazitäten und der Schaffung eines wettbewerbsfähigen, modernen Großflughafens Berlin Brandenburg International (BBI) zeichnete sich schon 1990 klar ab. So setzten die Verantwortlichen Ende 1992 zunächst ein Suchverfahren in Gang, welches zur Vorbereitung eines für ein Großprojekt diesen Ausmaßes unerlässlichen Raumordnungsverfahren dienen sollte. Sieben möglichen Flughafenstandorte wurden hierbei unter Berücksichtigung unterschiedlicher Gesichtspunkte wie Umweltverträglichkeit, Nutzbarkeit vorhandener Infrastruktur oder der Lärmbelästigung für Anwohner auf ihre Eignung geprüft: Sperenberg, Jüterbog-Ost, Jüterbog-West, Tietzow, Michelsdorf, Borkheide und Schönefeld-Süd. Dabei schnitt der Standort Schönefeld am schlechtesten ab.
Ein halbes Jahr zuvor jedoch war bereits anderenorts eine Entscheidung erheblicher Tragweite getroffen worden, die letztlich entscheidenden Einfluss auf dieses Auswahlverfahren haben sollte: Am 20. Juni 1991 entschied der Deutsche Bundestag, den Regierungssitz nach Berlin zu verlegen. Seither wurde, nicht zuletzt seitens der Bundesregierung, politischer Druck aufgebaut, um Schönefeld-Süd wegen seiner Stadtnähe als Hauptstadtflughafen durchzusetzen.
Am Ende setzten sich die Befürworter Schönefelds durch. Am 28. Mai 1996 verständigten sich die Länder Berlin und Brandenburg gemeinsam mit dem damaligen Verkehrsminister Matthias Wissmann im sogenannten Konsensbeschluss auf den Standort Schönefeld. Zahlreiche Klageverfahren von Privatleuten und Gemeinden gegen diese Planungen waren die Folge. Sie gipfelten schlussendlich in der höchstrichterlichen Feststellung einer bezogen auf die Landesverfassungen nicht verfassungskonformen Planung. Berlin und Brandenburg blieb nichts anderes übrig, als 2003 die entsprechenden gesetzlichen Bestimmungen zu ändern, um eine Rechtsgrundlage für das Vorhaben zu schaffen. Weitere gerichtliche Verfahren, insbesondere im Hinblick auf die Lärmbelästigung, blieben bis zur entscheidenden, unter der Auflage eines Nachtflugverbots zwischen 24:00 und 5:00 Uhr erfolgten Bestätigung der Standortwahl Schönefelds am 16. März 2006 durch das Bundesverwaltungsgericht anhängig.
Verspäteter Baubeginn
Damit waren kaum mehr als ein halbes Jahr vor der in den ersten Planungen ins Auge gefassten Eröffnung 2007 überhaupt erst die Voraussetzungen für den Baubeginn des Flughafens gegeben. Der Baubeginn Ende 2006 erfolgte insofern bereits mit einer erheblichen Verzögerung. Auch auf einem anderen Schauplatz dauerte es beinahe ebenso lange, bis es hinreichende Klarheit über Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten gab: So hatten in dem Beschluss von 1996 die drei Anteilseigner der Flughafengesellschaft, die Länder Berlin und Brandenburg sowie der Bund die Privatisierung der Flughafengesellschaft und den Bau des neuen Flughafens in Schönefeld durch private Investoren festgeschrieben. Im Gespräch war dabei zunächst HochTief, in einem zweiten Anlauf ein von dem mittlerweile nach Spanien verkauften Baukonzern und der IVG Immobilien gebildetes Konsortium.
Unter der Vorbedingung einer erfolgreichen Privatisierung war in diesem Zusammenhang 1998 aus einem begrenzten Wettbewerb auch der Entwurf des Hamburger Architekturbüros Gerkan, Marg und Partner (gmp) für den neuen Hauptstadtflughafen als Sieger hervorgegangen. Allein das Vorhaben der Privatisierung scheiterte. Die drei Gesellschafter beschlossen daraufhin 2003, den neuen Flughafen auf eigene Kosten zu bauen. Statt des zunächst favorisierten und bei Projekten dieser Größenordnung auch höchst sinnvollen Generalunternehmer-Konzepts wurde der Bau des Hauptterminals auf sieben Baulose aufgeteilt. Die Koordination und Ausführungsplanung, so die Beschlusslage, würde von der Flughafengesellschaft verantwortet werden, die dazu wiederum die gmp beauftragte, die unter dem Dach der eigens geschaffenen Planungsgemeinschaft Berlin-Brandenburg International (pg bbi) in kaufmännischen Fragen Unterstützung durch das Frankfurter Architekturbüro JSK sowie in heiklen technischen Fragen durch die IGK-IGR Ingenieurgesellschaft Kruck erhalten sollte.
Unterm Strich lag damit die eigentliche Verantwortung für die Kontrolle und die Koordination der Bauarbeiten aber immer noch bei der Flughafengesellschaft und damit in öffentlicher Hand, während faktisch das entwerfende Architekturbüro die Fäden in der Hand hielt. Insofern unterscheidet sich die prinzipielle Ausgangssituation kaum von einem anderen Großprojekt, dessen Verwirklichung ebenfalls mit massiven Problemen zu kämpfen hatte: der Elbphilharmonie.
Durch Umplanungen vollends aus der Bahn geworfen
Auch der enorm verzögerte Baubeginn sollte einen immensen Einfluss auf den weiteren Fortgang des Projekts haben: Einer der wichtigsten Faktoren dabei war die bis zu Beginn der Corona-Pandemie anhaltende rasante Zunahme des Flugverkehrs speziell in Berlin. So bewältigten die Flughäfen Tegel und Schönefeld 2016 ein Aufkommen von insgesamt 32,9 Millionen Passagieren. Damit lag Berlin in absoluten Zahlen hinter Frankfurt (60,7 Millionen) und München (42,3 Millionen) bereits auf Platz drei der größten Flughafenstandorte Deutschlands. Schärft man den Blick und lässt, wie es andere Auswertungen vorexerziert haben, die Umsteiger außen vor, dann besetzte der Standort Berlin hinsichtlich des jährlichen Originäraufkommens an Passagieren schon damals die Spitzenposition in Deutschland. Tendenz weiter steigend. Die Deutsche Flugsicherung rechnete im November 2019 vor, das Passagieraufkommen der Bundeshauptstadt habe seit 2012 um fast 40 Prozent zugelegt.
Derartige Größenordnungen lagen Ende der neunziger Jahre sicher noch in weiter Ferne. 2008 zu Baubeginn des eigentlichen Hauptterminals hingegen zeichnete sich diese Entwicklung klar ab. Das für die Bewältigung von bis zu 22 Millionen Passagieren konzipierte Hauptterminal des neuen Flughafens hätte insofern bereits bei Beginn des Regelbetriebs des neuen Flughafens den Anforderungen nicht genügt.
So wurden schon vor Baubeginn bzw. kurz darauf zahlreiche Änderungen an dem aus dem Jahr 1998 stammenden Entwurf vorgenommen. Zusätzlich zu dem dem Hauptterminal im Westen vorgelagerten sogenannten Hauptpier mit 16 Fluggastbrücken wurden nördlich und südlich der Terminals zwei weitere, in den ursprünglichen Planungen nicht vorgesehene Piers zum Übergang in die Flugzeuge vorgesehen, um weiterer fünf Millionen der deutlich über das prognostizierte Maß steigenden Passagierzahlen Herr zu werden.
Eine Entscheidung mit fatalen Konsequenzen
Recht bald zeichnete sich in diesem Zusammenhang allerdings ab, dass dies auch Änderungen im Nutzungskonzept der Geschossebenen des Hauptterminals erforderlich machen würde. Um die Kapazität zur Eröffnung zuverlässig auf mindestens 27 Millionen Passagiere zu steigern, wurde 2009 beschlossen, im Hauptterminal nachträglich ein zusätzliches Zwischengeschoss einzuziehen. Diese Maßnahme verkomplizierte nicht nur den Weiterbau des zu diesem Zeitpunkt bereits weit vorangeschrittenen Rohbaus, sie durchkreuzte auch das ursprüngliche Brandschutzkonzept, das bislang vorsah, im akuten Fall entstehenden Rauch ins Kellergeschoß abzusaugen und von dort aus dem Gebäude zu blasen.
Zusätzliche Umplanungen wurden aufgrund mittlerweile geänderter EU-Sicherheitsbestimmungen im Flugverkehr nötig, die einem erhöhten Platzbedarf der Sicherheitskontrolle nach sich zogen. Außerdem veranlasste die Flughafengesellschaft angesichts der bereits damals erkennbar aus dem Ruder laufenden Kosten noch vor Baubeginn des eigentlichen Terminals die Vergrößerung der Verkaufsbereiche des Flughafens, um die Finanzierbarkeit des Flughafenbetriebs zu sichern. Ohne wirklichen Einfluss auf die zahlreichen Bauverzögerungen, aber dennoch der geschilderten Entwicklung geschuldet, ist schließlich die 2016 getroffene Entscheidung, den ursprünglichen Entwurf um ein zusätzliches zweites Terminal mit einer Geschossfläche von 45.000 Quadratmetern zu erweitern. Es soll dank eigener Check-In-Möglichkeiten, Sicherheitskontrollen und automatisierter Gepäckaufgabe die Kapazität des Airports um weitere sechs Millionen Passagiere im Jahr erweitern und mit Eröffnung des Flughafens im Oktober in Betrieb gehen. Und weil überdies bis Anfang dieses Jahres auch das nicht zu reichen schien, ging die Flughafengesellschaft davon aus, Ende der 2020er Jahre ein weiteres, drittes Terminal an den Start zu bringen, das in einiger Entfernung östlich des Hauptterminals liegen und die Kapazitäten nochmals um 15 Millionen Passagiere erweitern würde.
Zunächst eine ganz „normale“ Großbaustelle
Das alles allerdings war im Frühjahr 2006, nachdem das Bundesverwaltungsgericht grünes Licht für den Bau des neuen Flughafens gegeben hatte, noch kein Thema. Am 5. September 2006 konnte mit dem ersten Spatenstich der Bau des Flughafens beginnen. Abgesehen von zahlreichen kleineren Vorarbeiten markiert der 2007 begonnene Bau des etwa 14,5 Meter unter dem Geländeniveau gelegenen unterirdischen Bahnhofs dann den Start der eigentlichen Arbeiten am Hauptterminal. Die Baugruben des Bahnhofs sowie der Zufahrtstunnel entstanden größtenteils im Schutz einer Grundwasserabsenkung, sodass ein konventioneller Aushub erfolgen konnte.
Anfang Juli 2008 war der 185 Meter lange Abschnitt des Bahnhofs im Rohbau so weit fertiggestellt, dass oberhalb der darauf gelegenen Fundamentplatte im Juli 2008 der Bau des Terminalgebäudes beginnen konnte. Ende April 2010 konnte das Richtfest für das Hauptterminal gefeiert werden. Damals weitestgehend im Rohbaustadium, schritten die Bauarbeiten zunächst noch zügig voran. Im Spätherbst beginnt der Einbau der Verglasung, im Frühjahr 2011 sind die Elektro- sowie insbesondere die Beleuchtungsinstallation weit vorangeschritten, im Dezember sind der Aufbau der Check-in-Schalter sowie die Einrichtungen zur Gepäckaufgabe so weit fertiggestellt, dass erste Testläufe gestartet werden können.
Wie es hätte weitergehen können, zeigen Baufortschritt und letztliche Inbetriebnahme des mit 72 Metern (nach Düsseldorf und München) in Deutschland dritthöchsten Flughafentowers. Anfang März 2012 beginnt der Probebetrieb, in der Nacht vom 24. auf den 25. März 2012 der Regelbetrieb des Kontrollturms. Seither wird von dort der Verkehr des Schönefelder Flughafens kontrolliert.
Vollbremsung im letzten Moment
Was das Hauptterminal betrifft, sieht es Ende 2011 trotz der offenkundig weit vorangeschrittenen Bauarbeiten allerdings düster aus. Der TÜV sieht das einwandfreie Zusammenwirken der vollautomatischen, durch 16.000 Melder gesteuerten Brandschutzsysteme, die im Falle des Falles über ein kilometerlanges Rauchgasabpumpsystem Menschenleben retten sollen, als nicht gewährleistet an und verweigert daraufhin die Abnahme.
Damit war der schon einmal verschobene Eröffnungstermin nicht mehr zu halten. Am 8. Mai 2012 sagte die Flughafengesellschaft den für den 3. Juni 2012 angekündigten Eröffnungstermin wegen „technischer Probleme bei der Brandschutztechnik“ ab. Mit weitreichenden Folgen: nicht nur, dass den für die zweite Jahreshälfte gebuchten Tausendschaften freiwilliger Tester abgesagt werden musste und sich die Fertigstellung nach hinten verschob. Sehr viel drastischer war die Entscheidung des damaligen Aufsichtsratsvorsitzenden der Flughafengesellschaft und zugleich regierenden Bürgermeisters Klaus Wowereit, die Zusammenarbeit mit der Planungsgemeinschaft Berlin-Brandenburg International mit sofortiger Wirkung aufzukündigen und damit das entwerfende Architekturbüro auszubooten.
Für die Gerichte in Berlin bedeutete das abermals sehr viel neue Arbeit und im Berliner Senat hatte das die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zur Folge. Dem Weiterbau bzw. der Behebung der Mängel half das unterdessen zunächst einmal nicht. Im Gegenteil: Der Bau kommt seither nicht mehr aus den Schlagzeilen heraus.
Massive Mängel geraten ins Blickfeld
Im Dezember 2012 macht etwa eine Meldung die Runde, die Rolltreppen zwischen dem unterirdischen Bahnhof des BER und der zentralen Plaza seien um einige Stufen zu kurz, von daher müssten drei bis vier Stufen dazu gemauert werden; ein anderes Mal wird bekannt, die zur Befestigung sicherheitsrelevanter Kabel im Hauptterminal verwendeten Dübel seien für diesen Zweck überhaupt nicht zugelassen, und dann stellen die Monteure der automatisch öffnenden Türen fest, dass die für sie erforderliche Stromversorgung schlicht vergessen bzw. nicht installiert wurde.
Die Liste weiterer, zum Teil haarsträubender Fehlleistungen ist lang. Im Nachhinein besteht oftmals nur noch nach intensiven Studium von Akten die Aussicht herauszufinden, wer im Einzelfall was zu verantworten hat. Wenn nicht gar, wie beispielsweise im Falle der unsachgemäßen Elektroinstallation im 800 Meter langen, zentralen Kabelkanal unter dem Terminal durch die beauftragte Neuverlegung von 35 Kilometern Hauptkabeln zugleich die Beweise für die nicht korrekte Vorleistung vernichtet wurden. Auch die Frage, wie es möglich ist, dass mit dem Innenausbau beauftragte Gewerke beispielsweise in den Treppenhäusern bei der Montage der Geländer bis zu fünf Meter lange Lücken ließen, hilft angesichts einer im Januar 2014 bekannt gewordenen Meldung, nach der zu diesem Zeitpunkt Handwerkerrechnungen in Höhe von rund 400 Millionen Euro unbezahlt waren, nicht weiter.
Auf Vorschlag des im Frühjahr 2013 zum neuen Aufsichtsratsvorsitzenden der Flughafengesellschaft berufenen damaligen brandenburgischen Ministerpräsidenten Matthias Platzeck und unter Zustimmung von Wowereit und Verkehrsminister Peter Ramsauer suchten die politisch Verantwortlichen nach Möglichkeiten für einen Neuanfang. Hartmut Mehdorn, der knallharte Bahnsanierer, sollte ab sofort in Ablösung des ebenfalls geschassten Flughafenchefs Rainer Schwarz für Erfolgsmeldungen und vor allem für einen zügigen Fortgang der Arbeiten sorgen. Doch auch Mehdorn verheddert sich im Dickicht nicht kompatibler Kompetenzen, diverser Neuplanungen sowie undurchsichtiger Absprachen. Nach nicht einmal zwei Jahren gibt er überraschend auf.
Ihm folgt Karsten Mühlenfeld auf dem Posten als Flughafenchef. In seine Amtszeit fällt im Juni 2016 auch die Veröffentlichung des Abschlussberichts des Untersuchungsausschusses. Neben der kleinteiligen Vergabe der Bauleistungen des Hauptterminals und der nicht in adäquater Weise wahrgenommenen koordinatorischen Aufgaben, die sich aus diesem Vorgehen in besonderer Weise ergaben, arbeitet der Bericht vor allem erhebliche Kontrolldefizite seitens der Flughafenleitung heraus, die sich unter anderem in einer unzureichenden Managementstruktur, einer mangelnden Bauaufsicht und einer verfehlten Bauplanung zeigten. Insbesondere kritisiert er die Besetzung des Aufsichtsrats mit weitgehend fachfremden Politikern und Arbeitnehmervertretern.
Auch Mühlenfeld hält sich nicht wirklich lange als Flughafenchef. Im März 2017 übernimmt den Posten Engelbert Lütke Daldrup. Ihm gelingt es, die Abarbeitung der Baumängel voranzutreiben. Und er vermeidet es, unrealistische Eröffnungstermine zu nennen. Der von ihm im Dezember des gleichen Jahres nach gründlicher Einarbeitung genannte Termin „Oktober 2020“ steht bis heute.
Die lange Liste abgeräumter Fertigstellungstermine
Doch die Aufstellung bis dahin aufgelaufener und wieder kassierter Eröffnungstermine ist durchaus beeindruckend. Beim ersten Spatenstich 2006 war man sich noch sicher, einen Eröffnungstermin am 30. Oktober 2011 erreichen zu können. Die ganz zu Anfang anvisierte Planung, im Jahr 2007 mit dem Regelbetrieb zu beginnen, war angesichts des verspäteten Baubeginns natürlich längst in Vergessenheit geraten. Eine erste Terminkorrektur unter neuen Vorzeichen erfolgte dann im Juni 2010. Ihr zufolge sollte der Eröffnungstermin um sieben Monate auf den 3. Juni 2012 verschoben werden.
Am 8. Mai 2012 sagte die Flughafengesellschaft, wie bereits geschildert, auch diesen Eröffnungstermin wegen „technischer Probleme bei der Brandschutztechnik“ ab. Als neues Datum wurde nunmehr der 17. März 2013 ausgegeben. Zum Zeitpunkt der Bekanntgabe der Verschiebung waren nach Angaben der Betreiber 95 Prozent der Gebäude fertiggestellt. Am 7. September muss die Flughafengesellschaft diesen Eröffnungstermin dann abermals verschieben und gibt nun die Parole aus, am 27. Oktober 2013 fände die Eröffnung des Flughafens statt.
Nach Verstreichen auch dieses Termins, auf den sich schon niemand mehr wirklich verlässt, heißt es dann im Januar 2014, dass eine Eröffnung in diesem Jahr völlig ausgeschlossen erscheine. Im Dezember 2014 sorgt auch Hartmut Mehdorn als eine seiner vermutlich letzten Amtshandlungen für eine weitere Verlängerung dieser Liste, und zaubert für alle Beteiligten überraschend einen Eröffnungstermin irgendwann zwischen Juni und September 2017 aus dem Ärmel. Den Schlusspunkt markiert, wie schon erwähnt, der im Dezember 2017 von Lütke Daldrup für den Oktober diesen Jahres festgeschriebene Eröffnungstermin.
Beständige Steigerung der Baukosten
Es braucht keine hellseherischen Fähigkeiten, um sich an dieser Stelle eines völligen Entgleisens jeglicher Budgetplanungen sicher zu sein. Musste die erste Kalkulation aus dem Jahre 1995 in Höhe von 1,112 Milliarden Mark zum Zeitpunkt des erst elf Jahre später erfolgten Baubeginns als völlig überholt gelten, durfte man die 2007 prognostizierten Kosten von 2,018 Milliarden Euro durchaus ernst nehmen.
Dennoch war der erwartete Finanzbedarf bei Baubeginn des Hauptterminals im Sommer 2008 schon auf 2,4 Milliarden Euro gestiegen. 2009 wurde abermals eine moderate Steigerung auf 2,5 Milliarden Euro kommuniziert. Im Mai 2012, zum Zeitpunkt der Absage des Eröffnungstermins präsentierte man der Öffentlichkeit dann allerdings ein wahrlich dickes Brett: Wenigstens 4,5 Milliarden Euro würde der Bau des neuen Airports verschlingen.
Kaum mehr als zwei Jahre danach sollte der Bau bereits 5,4 Milliarden Euro kosten. Im gleichen Jahr kommt ein am 12. Mai 2014 von Projektentwickler Wilfried von Aswegen unter dem Titel „Betrachtungen zur Wirtschaftlichkeit des Flughafens BER“ veröffentlichtes Gutachten zu dem Schluss, dass „es keine Möglichkeit mehr gebe, den bisherigen Neubau in die Zone der Wirtschaftlichkeit oder gar des Gewinns zu bringen.“
Die Kostensteigerungen gehen unterdessen weiter. Im Juli 2015 näherten sich die Prognosen der Marke von sechs Milliarden Euro. Anfang 2018 wurden die Gesamtkosten auf 7,3 Milliarden Euro geschätzt. Drei Jahre später werden auch die naivsten Seelen kaum davon ausgehen, dass es dabei geblieben ist. Und nun noch das: Die wahrlich desaströse Entwicklung des Flugverkehrs infolge der Corona-Pandemie besiegelt das Schicksal des Flughafenneubaus als Abschreibungsobjekt. Wie der Spiegel Mitte Juni berichtete, erreicht der Flugverkehr in Deutschland derzeit nicht einmal ein Niveau von 15 Prozent des Aufkommens vor Corona.
Auch etwas anderes wird Ende Oktober der Geschichte anheimfallen: die „Belüftungsfahrten“ der S-Bahn durch das Kellergeschoss des BER. Seit Jahren fährt jede Woche von Montag bis Freitag zwischen 2.44 Uhr und 3.41 Uhr eine leere S-Bahn durch den Bahnhof, um der akuten Windstille entgegenzuwirken und so dafür zu sorgen, dass nichts schimmelt und die dortigen Anlagen nicht verrosten.